Einführung

Nur in sehr wenigen ostdeutschen Städten nach 1945 (ab 1949 dann in der DDR) gelang es Jüdinnen und Juden – nach dem Trauma der Verfolgung durch das NS-Regime und des Holocaust –, sich wieder in jüdischen Gemeinschaften und Vereinen zusammenfinden. Auf dem Territorium des einstigen Landes Brandenburg – zu DDR-Zeiten zergliedert in die Bezirke Potsdam, Cottbus und Frankfurt/Oder – existierte nach Kriegsende keine einzige Gemeinde mehr. Jüdisches Leben schien hier fortan nur der Vergangenheit anzugehören. Mit jüdischer Geschichte beschäftigten sich einige engagierte Historiker, Bürgerrechtler, teilweise auch kirchliche Kreise. „Aktion Sühnezeichen“ und einige andere Initiativen und Einzelpersonen bemühten sich um die Instandhaltung und Pflege verwaister jüdischer Friedhöfe. Zu brandenburgischen Überlebenden des Holocaust bestanden in Zeiten des „Kalten Krieges“ nur wenige Kontakte, zumal viele von ihnen nach Israel, in die USA oder in andere westliche Länder emigriert waren.

Mit dem politischen Umbruch in der DDR und im gesamten Ostblock zeichneten sich ab Herbst 1989 einige gesellschaftliche Veränderungen ab, die kleineren oder größeren Wunder gleichkamen. Fast niemand hatte zu glauben gewagt, dass die Berliner Mauer und der gesamte „Eiserne Vorhang“, der Europa teilte, mehr oder weniger von selbst einstürzen würden. Fast niemand hielt es für möglich, dass die Revolutionen in den Staaten des Ostblocks einen friedlichen Verlauf nehmen könnten. Über das rasante Tempo der deutschen Wiedervereinigung staunte die halbe Welt, doch ein fast noch überraschenderes Szenario war der Zuzug von Jüdinnen und Juden aus der sich auflösenden Sowjetunion. Antisemitismus, Wirtschaftskrisen, Mangelversorgung, Umweltkatastrophen und heraufziehende Bürgerkriege ließen sie ihre Heimat verlassen und einen Neuanfang nicht nur in Israel und den USA, sondern plötzlich auch in der „Berliner Republik“, im Herzen eines wieder hoffnungsvollen Europas, wagen.

Mit der sogenannten „Kontingentflüchtlingsregelung“, beschlossen von der Konferenz der Innenminister im Januar 1991, schuf das gerade wiedervereinigte Deutschland dann eine rechtliche Grundlage dafür, dass Jüdinnen und Juden aus der UdSSR und ihren Nachfolgestaaten (bei Nachweis ihrer jüdischen Abstammung) einen dauerhaften Aufenthaltsstatus in Deutschland erlangen konnten. Erstmals seit der Nazizeit und dem Ende des Zweiten Weltkrieges strebten tausende, schließlich zehntausende jüdische Menschen in jenes Land, das vor 1933 eine der blühendsten und vielfältigsten jüdischen Gemeinschaften weltweit besessen hatte, die dann aber brutal und gezielt ausgelöscht worden war.

Die neue Berliner Republik versuchte nun, ein umgekehrtes Zeichen zu setzen: Jüdinnen und Juden aus der Sowjetunion, die häufig Erfahrungen von Alltagsantisemitismus und persönlichen Bedrohungen unter Hammer und Sichel hatten durchmachen müssen, wurden ausdrücklich willkommen geheißen. Zugleich wurde rasch offensichtlich, dass die Immigranten ein hohes berufliches und künstlerisches Potential mitbrachten, stark an europäischer Kultur interessiert und untereinander in erstaunlich guter Weise vernetzt waren.

Bei ihren ersten Schritten in eine (wiedervereinigte) deutsche Gesellschaft, die selbst noch ihren eigenen, neuen Weg suchte, wollte man den Neuzuwanderern gern behilflich sein. Jüdinnen und Juden aus der früheren Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten wurden – ebenso wie Spätaussiedler und Asylbewerber auch – nach dem Königsteiner Schlüssel auf die einzelnen Bundesländer verteilt, so auch nach Brandenburg. Und dort, wo sich nun in größerer Zahl jüdische Immigranten ansiedelten, geschahen die kleinen Wunder der Gemeinde-Neugründungen – auch wenn deren Mitgliederzahlen bis heute sehr überschaubar geblieben sind. Rund 7.500 Jüdinnen und Juden sind seit den 1990er Jahren im Land Brandenburg aufgenommen worden, ein beträchtlicher Teil von ihnen ist später in andere Bundesländer, einschließlich Berlin, weiter gezogen. Andere aber sind im Lande sesshaft geworden, haben hier „eigene Wurzeln geschlagen“, und unter diesen wiederum gab und gibt es Menschen, die ihr Judentum auch in Religionsgemeinschaften praktizieren wollen.  

Im Land Brandenburg finden wir heute lokale jüdische Gemeinden in Potsdam, Frankfurt an der Oder, Cottbus, in der Stadt Brandenburg, in Bernau, Oranienburg und in Königs-Wusterhausen. Alle Gemeinden zusammen verfügen über knapp 2.000 Mitglieder. Potsdam ist die Stadt, in der sich heute gleich mehrere jüdische Gemeinden etabliert haben. Die mitgliederstärkste unter ihnen, die Jüdische Gemeinde Potsdam Stadt, verfügt über einen eigenen Rabbiner – Ariel Kirzon -, ein Jugendzentrum und verschiedene Vereine. Rabbi Kirzon betreut auch den Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Brandenburg (Teil des Zentralrates der Juden in Deutschland). Den Jüdischen Landesverband West betreut Rabbiner Nachum Presman.

In verschiedenen brandenburgischen Städten finden sich zudem kulturelle Einrichtungen und Vereine, die ebenfalls von zugewanderten Jüdinnen und Juden aus der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten gegründet worden sind – wie beispielsweise der Integrationsverein „Schtetl“ in Schöneiche, Landkreis Oder-Spree. Das in der Berliner Straße in Potsdam seit 2003 ansässige und auch von vielen nichtjüdischen Potsdamern gern besuchte Kultur-, Informations- und Bildungszentrum „KIBUZ“ musste 2019 auf Grund finanzieller Engpässe leider schließen. „KIBUZ“ war zu einem wichtigen Farbtupfer in der kulturellen Palette der Landeshauptstadt geworden – hier wurden jüdische Feste auch mit interessierten Außenstehenden gefeiert, wissenschaftliche Vorträge und Lesungen abgehalten, Ausstellungen gezeigt, gemeinsam getanzt, gesungen oder sich einfach nur unterhalten.

Zu den in Brandenburg lebenden jüdischen Menschen sind in den vergangenen Jahren auch einige Frauen, Männer und Familien aus Israel hinzugekommen. Langfristig könnten sie in den lokalen jüdischen Gemeinden ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.

Neben den jüdischen Gemeinden und Kulturvereinen/-zentren haben sich in Brandenburg während der letzten Jahrzehnte auch sehr erfolgreiche jüdische Bildungseinrichtungen entwickeln können. Einige von ihnen sind mit der Universität Potsdam verbunden – so das Abraham Geiger Kolleg (gegründet 1999), das liberale Rabbiner*innen ausbildet, und das Zacharias Frankel Kolleg (gegründet 2013), welches für die Ausbildung konservativer Rabbiner*innen sorgt. Ebenfalls im Jahre 2013 nahm die School of Jewish Theology ihre Arbeit auf – sie beherbergt den ersten konfessionsgebundenen Studiengang Jüdischer Theologie an einer staatlichen Universität in Europa überhaupt. An der Universität Potsdam haben Kommiliton*innen mit jüdischem Hintergrund zudem die Möglichkeit, sich der jüdischen (Studierenden-)Gemeinde „Beth Hillel“ anzuschließen. Die entstandenen Gemeinden wie auch die gewachsenen Vereine, Netzwerke und Bildungsstrukturen verdeutlichen, dass sich in Brandenburg ein neuer jüdischer Pluralismus entwickelt. Seit langem geplant und diskutiert wird der Bau einer neuen, modernen Synagoge in Potsdam, die für alle Jüdinnen und Juden des Landes Brandenburg zur Verfügung stehen soll. Zwar wurde im Jahre 2015 in Cottbus eine ehemalige evangelische Kirche der jüdischen Gemeinde der Stadt als Gotteshaus zur Verfügung gestellt. Ein Neubau fehlt bisher aber. In diesem Frühjahr beschloss der Brandenburger Landtag nun den Bau eines modernen jüdischen Gemeindezentrums mit integrierter Synagoge. Es entsteht im Herzen von Potsdam, in Sichtweite zum 2014 wieder erstandenen Stadtschloss. Noch in diesem Jahr wird die Grundsteinlegung erfolgen, gebaut wird nach Entwürfen des Berliner Architektenbüros Haberland.

Olaf Glöckner