Aus dem Projekt „Hachschara als Erinnerungsort“: Zu Besuch in Steckelsdorf-Ausbau

Nach einem Ausstellungsbesuch in Trebbin (vgl. Dialog # 93) begibt sich das Moses Mendelssohn Zentrum weiter auf Spurensuche einstiger Hachaschara-Stätten. So folgte Mitte August 2022 ein Besuch des ehemaligen Landwerks Steckelsdorf-Ausbau. Auf Einladung der heutigen Besitzer:innen fuhr das MMZ-Team nach Rathenow, wo nur wenige Kilometer weiter das ursprüngliche Gelände der Hachschara-Stätte liegt.

Das Landwerk Steckelsdorf-Ausbau wurde seit 1934 als Hachschara-Stätte betrieben. Wie bei vielen dieser Stätten üblich, lag der Schwerpunkt der Ausbildung bei den Jungen auf landwirtschaftliche Tätigkeiten, sowie bei den Mädchen zusätzlich auf Hauswirtschaft, Geflügelzucht und Melken. Viel Wert wurde auf das Erlernen von jüdischem und allgemeinem Wissen gelegt. Im Jahr 1936 war das Landwerk Steckelsdorf mit ungefähr 70 Jugendlichen voll belegt.

Zum Hof zählten neben einem Wirtschaftsgebäude, verschiedenen Ställen, einer Scheune sowie einer Sommervilla außerdem mehrere Beete, Obstplantagen, Felder und Wald. All dies ist auch heute noch zu erkennen: 1953 wurde in der Sommervilla ein Kinderheim eingerichtet, in dem heute verschiedene Wohngruppen untergebracht sind und an dessen Eingang sich seit 1997 eine Gedenktafel befindet. Sie erinnert an das Hachschara-Lager, welches sich dort von 1934–1942 befand.

Wie so viele Hachschara-Stätten wurde auch das Landwerk Steckelsdorf-Ausbau im Zuge der Novemberpogrome 1938 überfallen, verwüstet und dort befindliche Personen verhaftet und abtransportiert. Das Landwerk wurde zunächst geschlossen, nach kurzer Zeit aber 1939 wieder in Betrieb genommen, doch werden die Jugendlichen ab Herbst 1940 immer mehr zu Zwangsarbeit verpflichtet, bis im Mai 1942 das Landwerk offiziell geschlossen wurde. Die noch anwesenden Personen sollten sich zur „Umsiedlung“ bereithalten. Steckelsdorf-Ausbau wurde nachfolgend als „Arbeitseinsatzlager“ genutzt.

Die weiteren noch erhaltenen Gebäude neben der Sommervilla sowie das dazugehörige Gelände befinden sich heute in Privatbesitz. Glücklicherweise sind sich die heutigen Besitzer:innen der besonderen Geschichte bewusst und setzen sich mit aller Kraft für eine Darstellung vor Ort ein, damit das einstige Landwerk nicht in Vergessenheit gerät. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, sind doch viele der einstigen Hachschara-Stätten heute in Privatbesitz und die Vergangenheit des Ortes nicht bekannt, eine Auseinandersetzung nicht möglich oder nicht gewollt.  
 
Zusammen mit einer engagierten Steckelsdorferin, die sich schon viele Jahre mit der Geschichte des Landwerks Steckelsdorf-Ausbau beschäftigt, werden nun nach den nötigten Mitteln und Unterstützung gesucht, eine Präsentation vor Ort umzusetzen. Die Räumlichkeiten für eine historische Ausstellung sind bereits vorhanden: direkt auf dem ehemaligen Gelände in einer Scheune. Was beim Besuch des ehemaligen Landwerks aber auch deutlich wird: es gibt noch einige Leerstellen in der Aufarbeitung der Geschichte, die weiter erforscht werden muss. Das MMZ begleitet diesen Prozess und steht beratend zur Seite.

Derzeit erarbeitet das Moses Mendelssohn Zentrum im Rahmen des Projekts „Hachschara als Erinnerungsort“ eine zweisprachige Online-Datenbank (deutsch & englisch) zu Stätten der beruflichen „Umschichtung“ (hebr.: Hachschara). In dieser werden die Standorte auf einer Karte verzeichnet und ihre Geschichte durch Expert:innen erläutert. Zu dem Projekt gehört auch der Aufbau eines Netzwerks zum Wissenstransfer und die Bemühung, weitere Projekte zur Hachschara mit wissenschaftlichen Expertise zu begleiten, um so auch in Zukunft eine würdige Erinnerung an diese besonderen Orte zu generieren. So wird auch das Landwerk Steckelsdorf-Ausbau, neben vielen weiteren ehemaligen Hachschara-Stätten, auf der Karte verzeichnet und mit einem Beitrag vertreten sein.

Nina Zellerhoff